Den Menschen aus Magdeburg kann man es nicht verübeln, haben sie sich doch an das Elend in ihrer Stadt so gewöhnt, dass ihnen Schönheit komplett fremd sein muss. Die LeipzigerInnen hingegen befeuern liebevoll eine Städterivalität, wie man sie sonst nur aus dem Fußballstadion kennt.
Wenn, dann ist Halle die kleine, entzückende Schwester von Leipzig und Magdeburg! Die, der man nichts abschlagen kann, obwohl man es möchte, die, die immer ihren letzten Keks mit dir teilt und deren abstrakte Malkunst scheußlich und herzerwärmend zugleich ist, sodass man ihr auch verzeiht, auf dem Porträt drei Daumen und ein Auge in Kinnhöhe zu haben.
Wir befinden uns hier im Süden von Sachsen-Anhalt, weit genug weg von Magdeburg und nah genug dran an Leipzig. Bei ca. 22.000 Studierenden auf knapp 240.000 EinwohnerInnen sind die jungen Leute zwar immer noch in der Unterzahl, aber schließlich muss hier auch gearbeitet werden, sind wir doch ehrlich. Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) beherbergt mit Abstand die meisten Studierenden. Die renommierte Kunsthochschule Burg Giebichenstein (ca. 1.100) und die Evangelische Hochschule für Kirchenmusik (57) stellen nur einen geringen, aber erwähnenswerten und bedeutenden Teil der Studierendenschaft. Das arbeitende Volk bewegt sich auch hier in den gewohnten Sphären, hervorzuheben sind daneben aber die Radiosender MDR Jump, Sputnik und Kultur, die Halloren Schokoladenfabrik, die Salzgewinnung und das dazugehörige Museum der Saline, der Firmensitz von Kathi sowie das Universitätsklinikum (Prof. Dr. Dr. Kekulé represent!). An Arbeit mangelt es in Halle also gewiss nicht.
Nun denn, Halle ist etwas klein, zugegeben. Zumindest im Vergleich zu Dresden, Düsseldorf und Dublin.
Bei einer kleinen Stadt fällt einem der äußere Stadtring schneller ins Auge – man kann quasi von einem zehnstöckigen Plattenbau zum nächsten sehen, über den Stadtkern hinweg. Das heißt aber nicht, dass die Aussicht nicht trotzdem fantastisch ist. Da reicht ein Blick über die Saale.
Der Eindruck von jeder Stadt hängt davon ab, wo man die Besichtigung startet. Startet man die Wohnungsbesichtigung außen am Stadtrand in den Neubaugebieten, dann schmeckt der erste Eindruck möglicherweise etwas bitter. Aber der Vorteil einer kleinen Stadt: Der Weg ins Zentrum ist kurz – von überall aus. Und der geteilte Marktplatz mit dem Händeldenkmal, der Marktkirche, dem Marktschlösschen und dem Roten Turm ist tatsächlich der Dreh- und Angelpunkt in Halle. Was vom Markt aus fußläufig zu erreichen ist, kann so unwichtig erst einmal nicht sein. Direkt nebenan befindet sich beispielsweise der Hallmarkt, auf dessen Fläche früher Salz gewonnen wurde. Auch die Zentralbibliothek findet sich am Hallmarkt wieder – für alle, die auch mal etwas anderes als Fachbücher für die Uni lesen möchten.
Ein bisschen Zerstreuung lässt sich auch leicht finden. Direkt am Markt gibt es diverse Shoppingmöglichkeiten (von New Yorker bis Peek&Cloppenburg, wir bedienen keine Klischees), Restaurants, Cafés, Bistros und Buchläden. Eine weitere Besonderheit des Marktplatzes sind die solarbetriebenen Sitzbänke mit Akkuladestation. Jep, the future is now. Der Löwencampus, der Hauptcampus der MLU, ist auch in der näheren Umgebung. Er darf natürlich an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Aber hier muss eine Warnung ausgesprochen werden: Finger weg von den Löwen! Sie sind verflucht.
Auch nachts ist der Markt übrigens der Place to go, Sammelpunkt für alle heimatlosen NachtklubbesucherInnen und bis 3 Uhr morgens Hausarbeit schreibenden JurastudentInnen (Überschneidungsrate: 0,7 %), Straßenbahnen und Nachtbusse.
Ob man aber an den Namen der Klubs merkt, dass Halle eine mitunter ländlich anmutende Großstadt ist? Oh please, als ob es nicht völlig normal wäre, dass Klubs Hühnermanhattan, Palette und Bauernclub heißen! Außerdem sind noch die Schorre, der Turm, das Charles Bronson und das Flower 2.0 (ehemals Kult Flower Power) absolut tanzbar. Wen DAS glamouröse Big-City-Life nicht abholt, dem kann auch Mattafix weiß Gott nicht mehr helfen. (Big city life/here my heart have no base/and right now Babylon de pon me case!)
Und auch wenn nachts tatsächlich zur Abwechslung mal jede Bahn und jeder Bus pünktlich kommt, ist die Frequenz doch leider etwas low. Na ja, keine Sorge, habt ihr die Bahn um 2 Uhr morgens verpasst, fährt um 3 schon die nächste, und Halle wäre nicht Halle, wenn ihr nicht in der Zwischenzeit bei Don't worry be curry noch Pommes bekommen würdet. Im Juridicum, der Bibliothek der JuristInnen, findet man auch in der größten Not noch Zuflucht, Schutz vor Regen und Kälte, weil sie glücklicherweise bis 5 Uhr morgens geöffnet hat. Aber das nur als Geheimtipp.
Keine Panik, lasst euch nicht so leicht von Erzählungen abschrecken. Halle mag vielleicht etwas kleiner sein als andere Großstädte, aber allein das historische Stadtbild ist einen Blick wert, ebenso die Peißnitzinsel an der Saale und die Nutrias an der Würfelwiese. Die Universität ist auch nicht ohne Grund so beliebt und ganz wichtig: Der Dialekt hier ist so viel weniger schlimm als in Leipzig oder Magdeburg.
Also, jede Stadt hat schöne Ecken - außer Hannover vielleicht.
Der Beitrag der Autorin Sophie Kolbinger erschien am 10.02.2021 auf deinhalle.de
Artikel teilen: